11 August 2008

Schlankheitswahn oder endlich gesund?

An dem Tag, an dem unsere Gesundheitsministerin Ulla Schmidt mit diversen Vertretern der Textil- und Modebranche die Charta gegen den Schlankheitswahn unterschrieb, atmete ich auf. Endlich passierte etwas gegen Magerwahn und mangelnde Stoffmenge in der Kleiderherstellung. Normale Proportionen schienen nun wieder möglich. Doch ich habe mich geirrt.

Am selben Tag las ich auf der Homepage für Frauen, dass Frauen jenseits der Größe 38 als dick gelten. Im Fernsehen wurde berichtet, dass Topmodells ihre Verträge wegen minimalster Speckröllchen verlieren, weil sie angeblich zu dick sind. Was immer das heißen mag.

Gleichzeitig werden Fotostrecken von magersüchtigen Modells veröffentlicht, die vor Essstörungen warnen und zum gesunden Leben aufrufen und Redakteurinnen namhafter Modemagazine verfassen Vorworte, in denen sie zugeben, ebenso an Figurproblemen zu leiden, wie der größte Teil der weiblichen Bevölkerung. Und doch scheint der Magertrend anzuhalten, denn die Hiobsbotschaften gegen Frauen mit Kurven, setzten sich fort.

Als Krönung teilte mir der Booker einer Modellagentur per Magazinbeitrag im TV mit, dass es ungehörig ist, mit Pölsterchen herumzulaufen und dass die Mode nicht für „dicke“ Frauen konzipiert ist. Gemeint war übrigens die Frau ab Größe 38. Das ist unverschämt. Und doch ist es Fakt.

Trotz aller Bemühungen der Politik und einiger weniger vernünftig gewordener Menschen aus der Modeszene, die sich gegen Größe 0 wehren, ist keine positive Lösung gesundem Gewicht in Sicht. Es scheint, als würde das erzwungene Selbstkasteien, das man modisches Schlanksein nennt, fortgesetzt. Der Wahn um das Vermeiden vermeintlicher Pölsterchen, die gar keine sind, ist nicht gestoppt.

Ich selbst bin kein Kind von Traurigkeit, was das Essen betrifft. Meine Figur entspricht nicht dem, was man sich langläufig als schlank vorstellt. Dennoch fühle ich mich schön und bin gesund. Aufrichtige Komplimente bestätigen das. Mein BMI ist höher als der in der Charta manifestierte von 18,5 und ich bin auch ein wenig älter als die geforderten 16 Jahre.
Charta kollidiert mit Modeansprüchen. Auf der einen Seite der Aufruf zu kontrolliertem Essen, gesundem Gewicht und vernünftiger Figur und auf der anderen Seite Größe 0. Die einen gehen gegen den Schlankheitswahn vor und plädieren für gesund aussehende Frauen auf dem Laufsteg, während die anderen uns erzählen, wie Mode zu sein hat. Schlank eben. Fast schon, wie nicht vorhanden. Androgyn und formlos.

Um es klarzustellen, wir reden hier nicht über Fettleibigkeit oder Gewichtsabnahme, die aus Krankheit entsteht, sondern über ganz normale Frauen, die sich normal ernähren und an Problemzonen leiden. Normal und doch als „dick“ betitelt.
Diejenigen, die Mode machen, die uns zeigen, wie Mode auszusehen hat, haben sich bis heute nicht zu ihrer Verantwortung bekannt, die sie für ihre Kundinnen und Kunden haben. Denn eigentlich sind sie es, die magersüchtig sind, weil sie ihre Kleider für solch unscheinbare Wesen entwerfen, die sie uns zeigen. Nur, damit wir feststellen, dass wir nicht in diese Teile passen und hungern. Oder auch nicht. Diese Menschen arbeiten mit dem Begriff „Trend“ und bezeichnen Schlankes als hip. Dabei spielen sie auch mit der Gesundheit anderer, die sich quälen müssen, um die hippen und trendigen Teile überhaupt tragen zu können.

Ist Mode also demnächst eine Gefahr für die Gesundheit? Vielleicht heißt es demnächst auf dem Kassenbon: Mode kann Ihre Gesundheit gefährden. Achten Sie auf Ihr Gewicht!

Es scheint als wäre Weiblichkeit ist nicht mehr gefragt. Gleichzeitig die erwähnten Eingeständnisse der Chefredakteurinnen namhafter Modemagazine, selbst nicht superschlank zu sein und als Kontrast die Bilder von mageren jungen Frauen, die so zerbrechlich und gleichzeitig ungesund wirken.

Es scheint sich noch nicht herumgesprochen zu haben, dass Frauen unterschiedlich und keineswegs durch die Bank androgyn und ohne Kurven sind. Ist es das Diktat der Modewelt, das offensichtlich trotz aller Chartas, Kampagnen und Aufrufe gegen Essstörungen wie Magersucht oder Bulimie zum Trotz immer noch gewichtiger ist, als eine gesunde Frau mit einer normalen Größe?

Was Frauen jenseits der magischen 38 wieder einmal zur Randgruppe degradiert, weil sie in den Augen der modischen Herrschaften nicht normal sind. Sind Frauen mit Größe 0 normal? Sind gebrechlich wirkende weibliche Wesen, die völlig konturenlos über unsere Straßen flanieren, wirklich schöner? Wo bleibt pure Weiblichkeit? Ist es wichtiger, schlank, ja fast mager, als gesund zu sein, vielleicht sogar deshalb zu leiden, als mit einem Pfund mehr auf den Rippen Selbstbewusstsein auszustrahlen und sich wohlzufühlen?

Täglich erfahren wir in diversen Shows im TV viele Dinge wie Ernährung, Idealgewicht und vernünftiges Leben. Auf der anderen Seite müssen wir uns von den Medien, Designern und sogenannten Experten als unförmig, dick und nicht normal bezeichnen lassen, sobald wir ein Röllchen haben. Sind Frauen, die sich mit Pölsterchen durchs Leben bewegen, weniger schön bloß, weil sie das besitzen, was die Natur vorgibt?

Es ist sicherlich Geschmackssache. Und über Geschmack kann man nicht streiten. Aber wenn Vertreter der Modewelt mit der Gesundheitsministerin eine Charta gegen den Schlankheitswahn unterzeichnen und sich somit gegen Magersucht oder Ess-Brechsucht, also den Schlankheitswahn bekennen und versichern, gegen ungesundes Gewicht vorzugehen. Die Industrie die Mädchen mit ihrem „Regelwerk“ auf dem Laufsteg zu einer „gesunden“ Größe 36 zwingt, sollten nicht nur die Unterzeichnenden an einem Strang ziehen. Vielmehr sollten die Medien sich dem Kampf gegen den Schlankheitswahn ebenso anschließen wie Booker oder Designer und ein wenig mehr von, dem in ihren modischen Empfehlungen berücksichtigen, was Frau eben doch ausmacht. Kurven. Mal mehr und mal weniger.

Es wird Zeit, dass die Mode- und Textilbranche wirklich zu ihrer gesellschaftlichen Verantwortung steht und Frauen so sein lässt, wie sie sind. Es ist Zeit, etwas gegen den Schlankheitswahn zu tun. Wir Frauen müssen einen Mittelweg zwischen Sünde und Mode finden.
Und wir sollten unseren wirtschaftlichen Einfluss nutzen und mit unserem Kaufverhalten die selbst ernannten Modepäpste endlich aufrütteln. Und zwar bevor sich die Zahl der sich aufgrund des Modediktats krank Hungernden rapide zunimmt, wie sie das Gewicht ab.