31 Mai 2008

Stadtbummel eines Landeis...

Ich liebe es in den großen Fußgängerzonen der großen Städte ein wenig bummeln. So oft bietet sich mir nicht die Gelegenheit neben dem bewährten Internetshopping, meiner Lust nach wirklich guten Kleidern zu frönen und sie live zu betrachten.
Zugegeben, ich bin ein Landei. Jedoch bin ich ein besonderes Landei. Ich weiß Bescheid.
Ich bin ein bunter Vogel und durchaus informiert darüber, was in der großen und weiten Großstadtwelt so vor sich geht! Wirklich! Und besonders liegt mir die Mode am Herzen. Da mir Florenz für einen kurzen Spaziergang durch die wirklich besten Läden zu weit ist, muss es eben die Münchner City sein. Es ist auch nicht New York oder eine andere Weltstadt, aber es stillt die Lust nach ein wenig Großstadtaroma und schönen Geschäften, ist erreichbar und meist wird man als niederbayrische Landpflanze sogar noch verstanden, wenn man Dialekt spricht.

In Geschäften nach neuen Looks zu stöbern, lifestylige Accessoires zu finden und die Seele baumeln zu lassen, ist für mich eine der schönsten Beschäftigungen, die ich pflege, wenn ich mich entspannt unter Menschen bewegen möchte. Neues zu entdecken, Mitbummler zu beobachten oder einfach nach Herzenslust neue Kleider zu probieren und mir auszumalen, ob ich sie mir irgendwann kaufen kann, ist für mich entspannend und inspirierend. Denn vorzugsweise bewege ich mich dort, wo es wirklich teuer wird. Ich mag es, Couture unter die Lupe zu nehmen, Schnitte zu prüfen und festzustellen, dass manch ein tapferes und teures Schneiderlein auch nur mit Nadel und Faden schneidert.
Dass ich, nebenbei gesagt, in solchen hochwertigen Geschäften mit hochdekorierten Namen auch gerne in Jeans und Shirt auftauche und vielleicht nicht immer den Eindruck einer versierten und potenten Käuferin mache, ist mir klar. Da mir aber mein Look auf meinen Touren Bequemlichkeit und einen Hauch Tarnung und meine Ruhe vor provisionsgierigen Verkäufern verschafft und das hiesige Personal diesen Umstand eher selten durchschaut, mag ich das.

Man hält mich für die kleine Unbedarfte, die wenig von Mode versteht und deshalb nicht würdig ist, angesprochen, beachtet oder gar beraten zu werden. Mein Erscheinen in diesen Läden verursacht oft eine gewisse Verärgerung, da ich diesen Tempeln nicht immer den gebotenen Respekt entgegenzubringen scheine. Pech gehabt. Es ist oft ganz anders. Aber die Urteile fällen die uniformierten Verkaufskräfte auf den ersten Blick, wenden sich ab und reagieren abfällig.

Dass es noch ganz anders kommen kann, erfuhr ich diese Woche, als ich in einem Münchner Geschäft für Herren war. Der Laden ist in der mittleren bis oberen Preisklasse sortiert und führt auch sehr gute Qualitäten, die durchaus erschwinglich sind. Ich betrat also, im nicht unmodischen, aber bequemen Outfit das Geschäft und wurde von einem Ständer angezogen, der günstige Shirts von guter Qualität anpries. Die Waren lagen gefaltet nach Farben sortiert da und waren eigentlich genau das, wonach ich suchte. Leider war nichts nach Größen gestapelt, sodass man sich durch die einzelnen Farben wühlen musste, um die richtige Auswahl zu treffen. Dass das manchmal als Frau, die mit Handtasche und Jacke über dem Arm und vielleicht schon mit Tüten in der Hand durch die Stadt spaziert, nicht so einfach ist, dürfte wohl klar sein. Normalerweise kommt in solchen Momenten ein netter Verkäufer, fragt nach dem Wunsch und hilft. Zumindest würde ich das als Frau vom Fach irgendwie erwarten.

Leider waren aber an diesem Tag alle Verkaufskräfte beschäftigt. Neben mir. Direkt. Man trat mir sogar einmal auf den Zeh, weil das Thema der Unterhaltung so anstrengend war und einer gewissen Gestik bedurfte. Eine Entschuldigung kam halbherzig und nach einem lauten „Aua! Vorsicht, hinter Ihnen stehen Menschen!“ von meiner Seite.

Es ging schlicht um den anstehenden Urlaub. Sollte man ein Segelboot mieten oder einen Strandurlaub machen? Fundamental wichtige Fragen, wenn nebenan ein Rat suchender Kunde steht, der gerne Hilfe hätte und den man noch vor wenigen Augenblicken fast in Grund und Boden getrampelt hätte.

Man entschied sich für die Strandvariante um gleich darauf zur Diskussion, welche Kosmetik und welchen Pareo die Dame benötigen würde und welcher Literatur angebracht war. Mein Vorschlag nach ungefähr 8-minütiger gezwungener Zuhörerschaft war: „Entschuldigen Sie bitte, ich würde vorschlagen, Sie widmen sich einem Ratgeber zum Thema Verkaufen und Kundenpflege. Und jetzt wäre ich Ihnen äußerst verbunden, wenn Sie mir dieses Shirt in XL geben könnten!“ „Haben wir nicht!“

Die Abfuhr war klar. Ich war der Aufmerksamkeit nicht würdig und ich erdreistete mich, Themen für Literatur im Urlaub vorzuschlagen! Und das, wo ich mit Absicht eben noch meine Zehen unter die Schuhe der Verkäuferin geschoben und sie zum Stolpern gebracht hatte. Ich war als Kundin nicht wirklich einer Auskunft würdig, die mehr als drei Wörter umfasste.
Was meinerseits eine leicht zerstörerische Aktion des mühevoll gefalteten Stapelgebildes auslöste, um an mein XL Shirt für Herzblatt zu kommen. Als ich das passende Exemplar gefunden hatte, ging ich zum nächsten Ständer, um noch ein wenig weiter zu suchen. Mir hatte es gerade angefangen, Spaß zu machen, ein wenig zerstörerisch zu werden. Was sind wir Landeier auch immer so dermaßen grobmotorisch veranlagt…..

Die Damen echauffierten sich nämlich nun im Kollektiv über die aufsässige Kundin, die sich erdreistete, eine kleine Frage zu so einem billigen Teil zu stellen, das es nicht einmal wert war, sich die Provision abzugreifen. Denn, in dem Laden sind alle Angestellten abhängig von dem, was sie an kleinen Aufklebern auf die Preisschilder kleben, aber ein Shirt für ein wenig mehr als 20 Euro war es nicht wert, sich zu bemühen!

Ich, die Unwürdige, stöberte weiter und traf zwei eher freundlich gesonnene Mitarbeiter, die den Braten meines Einkaufswunsches gerochen hatten. Eine ältere Verkäuferin gab mit wohlwollendem Lächeln ihrem unterstellten Azubi das Zeichen, sich mein Etikett abzugreifen.
„Nehmen Sie das?“, fragte er devot und schaute mich schleimig an. „Ich weiß nicht!“, gab ich knapp zurück und suchte weiter. Allerdings nicht allein, sondern mit dem Jüngelchen im Schlepptau. Er ließ mir geschätzte 30 Zentimeter Vorsprung, um mir dann auf dem Fuße zu folgen. Beim ersten Teil, das ich mir schnappte, fragte er wieder, ob ich denn das nehmen wolle. Nein, war meine Antwort, ich wisse es noch nicht. Der Provisionsgeili folgte mir unentwegt. Frage mehrfach nach, holte sich seine Abfuhr und grinste weiter schleimig. Schätzungsweise dürfte es das gewesen sein, was man in diesem Hause zuerst lernte. Schleimig grinsen, Provisionsaufkleber im Anschlag und die Frage „Nehmen Sie das mit?“

Keine Begrüßung, kein Hilfsangebot, keine Beratung. Wahrscheinlich wurde man erst richtig wahrgenommen, wenn man sich für die wirklich lukrativen Teile interessierte. Denn diese Kunden, so beobachtete ich, wurden äußerst dienstbeflissen, liebevoll und geradezu höflich behandelt.

Irgendwann hatte ich genug. Ich ließ meinen Schatten auflaufen, indem ich eine unerwartete Vollbremsung einlegte und der kleine Azubi voll gegen meine Schulter lief. Gleichzeitig zog ich meinen linken Fuß nach hinten oben, sodass mein kleiner und feiner Absatz sich dummerweise in das Schienbein des Jünglings rammte. Bedauerlicherweise konnte der keinerlei Brems- oder Ausweichmanöver einleiten, da wir zwischen zwei vollgestopften Kleiderständern standen.
„Oh, das tut mir jetzt aber leid!“ und einem ebenso schleimigen Grinsen machte ich mich davon. Klar wollte ich das Shirt. Aber er sollte keine Provision verdienen. Hat er auch nicht.

An der Kasse die gleiche Art und Weise. Keine Begrüßung, kein Dank. Lediglich eine Hasstirade gegen einen Kollegen, der offensichtlich sauer in der Belegschaft aufstößt und eine bösartige Bemerkung gegen den Leiter des Hauses, dem ich gerne meine Meinung gesagt hätte.

Ich beließ es dabei, machte mir aber meine Gedanken.
Ist es nicht so, dass man alle Kunden gleich behandeln sollte?
In einer Stunde für Verkaufspsychologie habe ich einmal gelernt, dass der Kunde ein gleichberechtigter Partner ist. Egal ob dieser Kunde kauft oder sich nur umsieht. Der Kunde sollte wahrgenommen, freundlich begrüßt, möglicherweise dezent beraten und so zum Kauf bewegt werden. Der damalige Dozent riet uns grundlegend davon ab, nur nachzufragen, ob der Kunde kaufen würde, er verurteilte die Reduzierung des Kundenkontaktes auf das Bekleben des Preisschildes mit der eigenen Provisionsmarke aufs Äußerste und erinnerte uns daran, dass der Kunde nicht nur einmalig kaufen, sondern wieder kommen sollte, weil er sich wohlfühlte in unserem Geschäft.

Ist man als Kunde also neuerdings das Objekt und wird dank einer genauen Taxierung auf einer Skala von 0 für „kauft sowieso nicht und sieht nach dummem Landei aus“ bis 10 für „Ja! Gehört in die Großstadt und weiß Bescheid und hat die Kohle!“ beurteilt?

Ist das wirklich das, was sich Unternehmer, die Dienstleistung oder Waren verkaufen, von Ihren Angestellten wünschen? Eine grobe und unfachliche Einschätzung der Kunden ohne ein wenig Servicegedanken und Grundkenntnissen in Sachen Höflichkeit?

Oder liegt es an der Grundeinstellung eines Traditionshauses, sich abfällig gegenüber denen zu verhalten, die eben preisbewusst und auf Qualität achtend kaufen möchten und nicht schon großkotzig mit der Kreditkarte wedelnd das Haus betreten?

Sind Kunden, die Wert darauf legen, sich in ihrem Budget zu bewegen und trotzdem gute Ware zu ergattern weniger wert als die, denen nur das Label wichtig ist?

Unternehmer und gerade diejenigen wie in meinem Fall, die Geschäfte mit tollen Artikeln und einem wirklich guten Ambiente und einem eigentlich exzellenten Sortiment für alle Preisklassen betreiben, sollten wirklich auch darauf achten, dass das Personal in allen Preisklassen gleich gut verkauft.

Da ich aber annehme, dass die Philosophie dieses Unternehmens nicht wirklich flexibel ist und in naher Zukunft umgestellt wird, sieht man mich in diesem Laden definitiv nicht mehr. Hätte mir der ausgesuchte Artikel nicht wirklich so gut gefallen, wie er mir gefiel, ich hätte ihn nicht gekauft.
Solche Läden sind mir zu unkreativ und zu starr in ihren Verkaufskonzepten, als dass sie meine Anwesenheit verdient hätten. Sie unterschätzen die preisbewusste Käufergruppe zu sehr, denn preisbewusst kaufen heißt ja nicht, dass man das Geld für ein hochpreisiges Teil nicht hat. Preisbewusste Kunden benötigen oft nur die richtigen Argumente, die richtige Behandlung und ein wenig Empathie, die in diesem Fall völlig fehlte.

Ach ja, der kleine Azubi lächelte trotz Schmerzen. Er biss die Zähne zusammen, denn seine „Meisterin“ dirigierte ihn weiter. Unerbittlich fuchtelte sie mit drohenden Blicken und Gesten in der Gegend herum und lächelte ihm gleichzeitig schleimig vor. Eigentlich tat er mir leid. Das geschätzte Alter verriet mir jedoch auch, dass der junge Mann eigentlich über soviel gesunden Menschenverstand hätte verfügen müssen, um zu erkennen, dass dichtes Auffahren im Kundenverkehr durchaus Hindernisse wie die spitzen und gefährlichen Absätze einer leicht erbosten Kundin mit sich bringen könnte.