28 November 2018

Gut gemeint. Aber!

Früher war es klar, was geschah, wenn Menschen krank wurden: Der Mensch ging zum Mediziner. Der führte eine Untersuchung durch, stellte Fragen und am Ende gab es ein Rezept, ein "Das wird schon" und einen Handshake.

So ungefähr. Der Mensch, der jetzt ein Patient oder eine Patientin war, setzte den Weg in die Apotheke fort. Dort wurde das Rezept eingelöst, man ging nach Hause und tat das, was der Mediziner geraten hatte. Brav und ohne Murren. So kenne ich das noch aus der Generation meiner Eltern. Medizin war paternalistisch und Widerspruch war nicht gestattet.


Heute ist das anders. Wenn wir krank werden, haben wir diverse Hilfsmittel zur Auswahl. Eines davon ist die digitale Art und Weise etwas über eine mögliche Erkrankung zu erfahren.
Über 70% der Nutzer recherchieren online zu Krankheitsbildern und auch Ärzte werden viel häufiger auf digitalen Wegen gefunden. So die Daten aus der unten stehenden Infografik, die statista in diesem Jahr in Kooperation mit der "Deutschen Apotheker- und Ärztebank" mittels Umfrage ermittelte und erstellte.

Als ich vor fast 14 Jahren mit der Diagnose MS aus dem Krankenhaus entlassen wurde, war ich, was mein Wissen über die Erkrankung betrifft, quasi ahnungslos. Man hatte mir zwar gesagt, dass ich Multiple Sklerose habe und nicht sofort sterben würde, aber ich hatte keinen Krümel Information darüber bekommen, wie man mit MS lebt oder um was es sich genau handelt. Ich verließ das Krankenhaus so wie ich es betreten hatte: ahnungslos und mit vielen Fragen über meine Zukunft, meine Unabhängigkeit, meine Lebensqualität und vieles mehr.

Mir blieb also nicht viel mehr als die Recherche zu beginnen und zu sehen, was ich lernen konnte. Damals gab es nicht so viel wie heute, also soziale Netzwerke und derlei, aber es gab Dr. Google. Und wenns mir der Doc nicht sagt, das war damals mein Gedanke, finde ich das eben selbst heraus. Dass Google nicht der beste Doc ist, das ist mir klar. Aber ich stand vor der Wahl, denn ich sollte mich für oder gegen diverse Therapievorschläge entscheiden und wie bitte soll ich das tun? Ich hatte keine Ahnung von MS. Die Ärzte hatten mir auch keine Informationsquellen mitgegeben.

Etwas, das ich bis heute oft von anderen Menschen, die ihren Weg ins Leben mit einer Erkrankung starten, höre. Es hat sich also nicht viel an der Fragestellung geändert.
Außer dem Umstand, dass die meisten Menschen, die krank sind oder eine Diagnose erhalten heute nachfragen, aktiv werden und informiert werden wollen. Nicht alle sind so, aber viele, die mit chronischen Erkrankungen leben, legen heute Wert darauf, am Entscheidungsprozess in Sachen Therapie und Gesundheit beteiligt zu sein. Sie sind engagiert und entwickeln ein starkes Bewusstsein dafür, sich um die eigene Gesundheit zu kümmern und es nicht nur den Medizinern zu überlassen, was nun werden soll. Ich verstehe das letztlich geht es um ihre Gesundheit und ihr Leben. Im Fachjargon spricht man über Health Literacy.

Daher sehe ich die Digitalisierung im Gesundheitsmarkt durchaus positiv. Klar ist nicht immer alles gut und perfekt und daran muss gearbeitet werden, aber die Möglichkeiten, die sich bieten, sind spannend.
Infografik: Digitalisierung im Gesundheitsmarkt – was Patienten sich wünschen | Statista Mehr Infografiken finden Sie bei Statista

Was aber bis heute oft fehlt, sind Quellen, denen man vertrauen kann. Wenn über 70% ihre Erkrankungen online recherchieren, dann müssen wir alle sicherstellen, dass z. B. MS nicht die Erkrankung ist, bei der man zwangsläufig sofort im Rolli sitzt oder dass man falsche Zahlen über die Patientenpopulation liefert und auch bei möglichen Therapieansätzen nicht korrekt berichtet. Das passiert zu oft und sorgt für Verwirrung, Konflikte im Arztgespräch und nicht selten die eine oder andere ungute Entscheidung, die vermeidbar sind, wären die Informationen aus guten Quellen leicht auffindbar und verständlich platziert.

Dazu kommt der Wunsch, ein selbstbestimmtes Leben zu führen, die eigene Lebensqualität zu erhalten oder zu verbessern. Entscheidungen gemeinsam auf einer Augenhöhe mit Ärzten zu treffen ist wichtig geworden.

Ebenso der Einsatz von digitalen Lösungen und die Einführung einer digitalen Patientenakte. Viele zeigen durchaus die Bereitschaft, sie zu nutzen. Mir geht es auch so. Ich habs satt bei jedem meiner Ärzte irgendwo eine Akte liegen zu haben und nie ein Ganzes zu sehen, das ich entsprechend teilen kann. Und wer schleift schon gerne Aktenordner mit oder kann MS in 14 Jahren in 10 oder 15 Minuten erklären? Anders herum: Welcher Arzt kann diese ganzen Daten in kurzer Zeit lesen und erfassen? Ich kann verstehen, dass das nicht klappt. Das System gibt uns die Zeit nicht dafür.

Selbst wenn ich mir eine eigene Datei mit Gesundheitsdaten anlegen würde, wer stellt sicher, dass ich keinen Fehler mache? Ich finde, eine digitale Patientenakte kann helfen, sehe aber auch die nötigen Veränderungen, die nicht immer so angenehm sein dürften, denn für den Anfang bürden sie den Ärzten Mehraufwände auf und wenn man ohnehin schon viel zu tun hat, ist das nicht so einfach.

Auf der anderen Seite ist da die Notwendigkeit. Es geht um die Entscheidung in Sachen Gesundheit und die sollte doch mit guten, verständlichen und richtigen Informationen getroffen werden. Wenn ich nicht weiß, wie lückenhaft meine Patientenakte ist, auch wenn ich alles sammle und mir Befunde auch privat aushändigen lasse, gehe ich davon aus, dass nicht alles da ist, was wichtig sein könnte. Und wie soll mir dann mein Doktor bitte eine richtige Empfehlung oder Information geben?

Es gibt also viel zu tun und ab und an neige ich ein bisschen zum Frust, weil immer noch soviel beraten und diskutiert wird, wie man etwas macht oder nicht, obwohl es doch in anderen Ländern funktionierende und gute Beispiele in Sachen Umsetzung gibt. Estland, Dänemark und sogar in Südtirol hat sich die Telemedizin schon positiv durchgesetzt. Es geht also, was auch dazu führt, dass viele Menschen definitiv Nachholbedarf in Sachen "Digitalisierung" sehen.

Angebote gibt es viele. Apps, künstliche Intelligenz, Wearables und vieles mehr kommt auf den Markt oder wird einem oft auch angeboten, zum Test versteht sich. Ich habe wöchentlich oft einen bunten Strauß an diversen Dingen zur Auswahl. Allerdings habe ich auch festgestellt, dass nicht alles das ist, was es verspricht und ob immer alles Sinn macht, das stelle ich ab und an in Frage.

In einem Interview für das Portal "Land der Gesundheit" von Pfizer habe ich einige Fragen zum Thema digitale Lösungen beantwortet. Denn viele Portale sind gut gemeint, aber schlecht gemacht. Sie sind nicht auf die Bedürfnisse der eigentlichen Zielgruppe zugeschnitten.
Der Grund dafür: Man hat nicht wirklich mit diesen Menschen gesprochen. Sie wissen am besten, was sie brauchen und was gut für sie ist. Was nutzen mir Portale oder Apps, die ich nur bedingt nutzen kann, weil z. B. das Teilen von Symptomen oder Fragen mit meinem Arzt nicht möglich ist? Nichts. Daher ist es wichtig, Menschen mit Erkrankungen, die täglich damit leben, einzubeziehen, sie anzuhören und die Bedürfnisse richtig einzuschätzen. Dann können Apps und Co wirklich hilfreich sein.

Nur wer direkt betroffen ist, kann am Ende beurteilen, was geht und was eben nicht. Gut gemeint ist nett, aber oft genug am Ziel vorbei. Themenverfehlung. Und was das früher in der Schule ergab, wissen wir alle. :-)

Mehr im Interview dazu: https://www.landdergesundheit.de/beteiligung/ueber-koepfe-hinweg (Bitte mit C&P in ein neues Browserfenster einsetzen!)

Digitalisierung ist spannend, besonders in Sachen Gesundheit und ich bin gespannt, wie sich das fortsetzt, denn am Ende sind wir lange nicht, es gibt viel zu tun und vor allem: umzusetzen. Und bitte nicht erst in drei Jahren, denn wir sind längst überfällig!

Wir nutzt Ihr digitale Services in Sachen Gesundheit?

Viele Grüße

Birgit


Text: Birgit Bauer für Manufaktur für Antworten UG
Bild: Statista , Pixabay.com