23 Mai 2022

Wie Wörter wirken! Wenn Wörter krank machen!


Wörter können viel. Sie können Gefühle auslösen, Reaktionen hervorrufen und dafür sorgen, dass man sie missversteht und streitet. Ein Wort kann jemanden einlullen, streicheln, betören, besänftigen aber auch wütend und aggressiv werden lassen. Wörter können die große Liebe fördern und Kriege auslösen. 

Sie sind scharfes Schwert oder zarte Verführung. Ganz wie man sie auswählt. 
Genauso können Wörter für Mitleid sorgen, für ein falsches Bild oder stigmatisieren. Gerade im Bereich des Gesundheitswesens werden Begriffe oder Wörter oft unbewusst falsch genutzt. Passiert das, kann das Menschen in Bedrängnis bringen, zum Risiko werden lassen oder auch in eine ganz falsche Schublade schieben. Ein Wort kann dafür sorgen, dass ein Mensch zum Fall wird, zur Nummer. 

Wenn Menschen krank werden, kann es passieren, dass bestimmte Begriffe genutzt werden, die ein Stigma auslösen können. Nicht selten spricht man von Patienten, von Betroffenen, von Fällen. 

Dabei spricht man von Menschen. Grund genug, ein bisschen aufs Wort zu schauen und zu sehen, wie sie wirken. Ich habe dazu einige Interviews geführt, die ziemlich aufschlussreich waren. 

Heute gibts einige der schlimmsten Buzzwords, die die wenigsten gerne hören, besonders wenn sie krank sind. 

Beginnen wir bei Patient

Schaut man auf Wikipedia und recherchiert nach der Definition des Begriffes, findet man dies: 

"Als Patient bzw. Patientin (aus lateinisch patiens  ‚leidend, erduldend‘Partizip Präsens Aktiv von pati  ‚leiden, erdulden‘) wird ein Mensch bezeichnet, der ärztliche Dienstleistungen oder Dienstleistungen anderer Personen, die eine Heilbehandlung durchführen, in Anspruch nimmt. Dabei kann es sich um die VorbeugungFeststellung oder medizinische Behandlung von Krankheiten oder Folgen eines Unfalls handeln.


Ich bin also eine Patientin, wenn ich beim Arzt sitze oder im Krankenhaus liege oder bei meiner Physiotherapeutin behandelt werde. 
Bin ich unterwegs, bin ich keine Patientin oder MS-Patientin, ich bin eine Frau, die mit MS lebt und das ist es auch schon. Prinzipiell bin ich ein Mensch. 

Der Unterschied? 

Sage ich, ich bin Patientin, stopft man mich gerne in die "Arme Sau" Schublade. Es kann passieren, dass man mir weniger zutraut oder dafür sorgt, dass sich Mitleid ansammelt. Dinge, die keiner braucht. Sage ich, ich bin ein Mensch, ist die Perspektive anders. Man hat eine Erkrankung, aber man ist ein Mensch und erwähnt man es, wird man genauso gesehen. Schubladen bleiben zu und Mitleid im Keller. Oft bekommt Patientin auch einen belehrenden Beigeschmack, der in der Wissenschaft ja nicht falsch ist, aber in Artikeln oder in Blogposts irgendwie schon seltsam anmuten kann. Eben belehrend, was uns wieder zur Schublade bringt. Gerade in der Aufklärung findet man viele Patienten, die man durchaus als Menschen bezeichnen könnte, was dazu führt, auch das Bild in der Öffentlichkeit weniger dramatisch, aber informativ zu gestalten und für Verständnis und weniger Drama zu sorgen. 

Betroffene 

Das kann man zweifach betrachten. Sicherlich bin ich von MS betroffen. Aber ich bin nicht betroffen an sich, wäre ich betroffen, wäre ich ständig traurig unterwegs, was ich beileibe nicht bin. Ich bin auch hier ein Mensch und lebe mit MS. Und ja, MS betrifft mich, aber weder ständig noch in jedem Lebensbereich. 

Der Unterschied ist ähnlich, Betroffene lösen Betroffenheit aus. Was dazu führen kann, dass man andere trösten muss, obwohl man der oder die Betroffene ist. An sich könnte man das mit einigem schwarzen Humor betrachten, wenn man will, aber hinter "Betroffenheit" verbirgt sich oft ein Drama und Emotionen bei anderen, die nicht förderlich sind, wenn es darum geht, das Bewusstsein oder die Sichtweise der Mitmenschen in eine bessere, konstruktive Richtung zu bringen. Mit weniger Drama Baby! 

Patient Journey oder die famose Reise?!

Das hat schon oft bei Veranstaltungen oder in Social Media für Entrüstung vonseiten der Menschen gesorgt, die am Ende des Tages mit einer Erkrankung durchs Leben gehen. 

Die so genannte Journey ist eigentlich etwas, das aus dem Marketing kommt. Die Customer Journey, also die Reise des Verbrauchers verbirgt sich dahinter und berichtet über die einzelnen Stationen,  die Verbraucher erleben, wenn sie ein Produkt nutzen. 

In Anbetracht der Situation, dass man mit einer Erkrankung lebt, die das Leben nicht unbedingt leichter macht, ist der Begriff "Reise" für viele so etwas wie eine Ohrfeige. Ein Schlag ins Gesicht. Und zwar ordentlich. Oder würde jemand von Euch behaupten, das Leben mit MS, Krebs oder anderen Erkrankungen ist ein spaßiger Trip? 

Keiner hat diese Reise gebucht, es gibt weder gute Cocktails und schönes Entertainment, kein Taschengeld für schöne Shoppingtrips oder andere Vergnügungen. Der Trip hat dagegen oft schwierige Diagnosen im Angebot, blöde Tests, die auch keiner mag, Tage, die schlimmer nicht sein könnten und die jede Menge Energie brauchen. Spaß und Reise ist echt anders. 

Der Unterschied? Zwischen Reise und Leben mit einer Erkrankung ist ein riesiger Unterschied. Das eine erzählt voller Härte und mit aller Boshaftigkeit ein Leben, dass sich wohl keiner freiwillig aussucht. Das andere spricht von Spaß, schönen Ländern und Tagen, von Erholung und besagten Cocktails. 
Wenn wir über Patientenreise sprechen, klingt das für viele Menschen mit Erkrankungen höhnisch, manchmal zynisch. Es löst Emotionen aus, die man nicht mag, braucht oder haben möchte. Das, was man mit Reise verbindet sind oft schöne Tage und Lachen. Das gibt es auf keiner "Patientenreise" und sobald es jemand erwähnt, wird es emotional. Negativ, oft verärgert. 

Nutzen wir doch Pfad. Das ist neutraler, man kann einen Pfad gehen, langsam, schnell, man kann verweilen und man kann ihn wechseln. Ein Pfad ist ein neutraler Wegweiser, der so manch fieses Ereignis im Leben mit einer Erkrankung leichter wegsteckt, als das Wort Reise, das mit einer Erkrankung diese zynischen Anstrich bekommt. 


Das Zusatzding: Opfer einer Erkrankung ... 

Opfer. Bin ich das? Ein Opfer der MS? Wurde ich für MS geopfert? Fiel ich der MS zum Opfer? 

Oder bin ich schlicht ein Opfer meiner Gene? Ich weiß es nicht, aber als Opfer ist man immer das kleine arme Etwas. Bin ich das? Nö. Definitiv nicht. 

Ich habe mir MS nicht ausgesucht, hätte ich es vermeiden können, hätte ich das sicherlich gemacht. Aber ich konnte es mir nicht aussuchen oder mich dafür oder dagegen entscheiden. Ich konnte nur mit der Diagnose umgehen und damit leben lernen und daher bin ich kein Opfer. 

Leiden

Leiden ist ein großes Wort oder? Es impliziert Qual, endlos vielleicht, aber jedenfalls soviel, dass ein Mensch wirklich leidet. Wenn Patienten unter MS leiden klingt das dramatisch und leidvoll. Man liest das oft in der Beschreibung eines Lebens. Aber ist es so? Ich glaube, wir müssen das differenzieren. Es gibt diese Tage an denen leiden wir alle mal. Seelisch, körperlich, wie auch immer. Aber zu behaupten, wir leiden täglich finde ich nur dann angebracht, wenn dem wirklich so ist. Schaut man auf Social Media, dann sieht man jede Menge Geschichten, manchmal auch tatsächlich Leiden, Trauer, Frustration oder Ärger, die alle zum Leiden gehören. Aber man sieht auch Geschichten, die weit weg vom Leid sind. Diese Geschichten erzählen von guten Tagen, von schönen Erlebnissen, von Freude oder auch von Genuss. 

Klar ist, es gibt wirklich Menschen, die krank sind und die leiden. Körperlich wie seelisch und dann ist dieser Begriff mehr als angebracht. Aber bevor man pauschal alle leiden lässt, fragt doch die Leute einfach mal oder seht euch an, wie sie agieren, was sie tun und wovon sie reden. Es wäre so einfach. 

Nehmt Leben. Leben birgt viel Spielraum für viele "Zustände" oder Eigenschaften. Es lässt Platz, um in Ruhe zu leiden oder in Selbstmitleid zu schwelgen, bevor man sich erhebt und weitermacht. Es gewährt Spielraum für die eigene Definition und, sehr wichtig, den Spielraum, den ein Leser braucht, um sich selbst eine Meinung zu bilden und das wollen wir doch oder? 

Worte bilden Meinung! Oder stigmatisieren! Daher Augen auf im Wortverkehr! 

Worte vermitteln eine Stimmung, eine Emotion. Vor allem aber bilden sie eine Meinung, vermitteln ein Bild bei dem, der sie liest. Und je nach Absicht, die man dahinter verstecken will, können sie dafür sorgen, dass sich die öffentliche Meinung ändert. Ins Gute oder Schlechte. Je nach Wortwahl.

Worte bilden eine Meinung bei dem, der sie liest. Was die Wortwahl nicht unbedingt leicht macht, aber erklärt, warum ab und an das volle Drama um die Ecke schleudert und auf einer Welle von Mitleid surft oder ob man jemandem ermöglicht, sachlich zu bleiben und mögliche Argumente abzuwägen. Man kann Menschen begeistern oder abstoßen. 


Wir sehen das oft im Journalismus, aber auch bei "Bloggern" die aufklärenderweise und wohlmeinend das ganze Leiden in voller Tragweite ausbreiten und dafür sorgen, dass Missverständnisse oder falsche Annahmen über eine Erkrankung nicht unbedingt für ein besseres Bild in der Öffentlichkeit sorgen, sondern das Stigma verstärken. 

Und das ist es doch: Wörter können stigmatisieren. Und das, so denke ich, will ja grundsätzlich keiner. Bis auf Ausnahmen, die es immer gibt. 

Ich glaube auch, keiner verlangt eine bestimmte Regel. Wir können Worte nicht vorschreiben. Aber wir können von Schreibenden und Wortnutzern eine gewissen Sensibilität und Empathie erwarten, wenn sie sich eines Erkrankungsthemas annehmen. Es ist ein Unterschied ob man betroffene Patienten stigmatisiert oder Menschen mit MS ihr Leben lässt und dafür sorgt, dass sie dort Unterstützung erhalten, wo sie sie brauchen. Oder dort Wissen finden, dass verdaulich ist, dass genutzt werden kann, ohne dass es einem im Halse steckenbleibt. Gerade dann, wenn man über Depressionen als unsichtbares Symptom spricht, sollte einem die Wortwahl wichtig sein. Damit Mensch Mensch bleibt. Oder?

Wir sind alle nicht gefeit davor, ab und an diese Wörter zu nutzen, mir gehts schon auch so. Manchmal kann ich keine Kurve schlagen, um sie zur vermeiden. Aber wenn ich sie nutze, dann mit Bedacht und ich überlege mir, ob ich es nicht anders machen kann. Ich verweile einen Moment und wäge ab, weil ich weiß, wie stigmatisierend Worte werden können oder dass ihre Nutzung oft für Vorurteile sorgen, die keiner braucht. 

Besonders wenn es um die sachliche Information über Symptome geht oder die Beschreibung verschiedener Untersuchungen oder medizinischer Studien, ist es oft nicht vermeidbar und passt aber dann auch und ist in vielerlei Hinsicht sogar angebracht. 

Im normalen Leben aber helfen normale, vernünftig gewählte Worte, solche, die den Leserinnen und Lesern Platz für eine eigene Meinung lassen und im besten Fall konstruktiv gewählt sind und damit auch Vorschläge anbieten, wie man etwas verbessern oder anders machen kann. 

Wie wählt Ihr Worte? 






Text: Birgit Bauer / Manufaktur für Antworten UG 
Bilder: Pixabay.com