Wenn man mit einer chronischen Erkrankung lebt, lebt man mit vielen Dingen, mit denen man nie gerechnet hat, sie jemals zu erleben. Dazu gehören Vorurteile, Missannahmen, Ignoranz oder auch Desinteresse. Begegnet man diesen Eigenschaften, wird das oft unangenehm. Sie schließen entweder aus oder sorgen dafür, dass man sich dafür rechtfertigt und verantwortlich dafür fühlt, weil man krank ist. Es kann auch dazu kommen, dass man diskriminiert oder dafür verurteilt wird, weil man irgendwo vielleicht ein Sonderrecht beanspruchen möchte.
Um es klar zu sagen, man sucht es sich nicht aus krank zu sein. Im Gegenteil. Allerdings sind Erkrankungen keine besonders sensiblen oder emphatischen Wesen. Sie kennen weder Grenzen noch Regeln. Und holen sie einen ein, verändert sich das Leben. Es kann passieren, dass man auf Zeitgenossinnen und Zeitgenossen trifft, die es einem zum Vorwurf machen, dass man trotz Erkrankung den Anspruch auf ein annähernd normales Leben hat. Entsprechend agieren sie oft verständnislos und unsensibel. Ihre Bemerkungen treffen und sie verteilen gerne Rat - Schläge. Und jeder dieser Schläge ist ein Treffer.
Auf der anderen Seite ist das die Forderung derer, die mit einer Erkrankung leben, die sich für das Bewusstsein für das Leben mit einer Erkrankung einsetzen und, so auf Neudeutsch formuliert: sie wollen "Awareness" schaffen.
Awareness ist wichtig. Das ist unbestritten. Die Leute müssen zumindest ein Mindestmaß an Wissen haben, um zu verstehen, was passiert, wenn man über seine Symptome spricht und was sie bedeuten. Dass eben ein bisschen müde nicht zu Fatigue passt und man Depressionen nicht sieht. Ich erlebe fast täglich in meiner Arbeit wie nötig Wissen über Menschen mit Erkrankungen ist. Wenn wir Strategien oder Botschaften entwickeln, sehen wir uns oft genug verschiedene Tonlagen an und über die Jahre habe ich einige seltsame wie wertvolle Tonlagen erlebt, die zu mehr oder weniger spannenden Ergebnissen geführt haben.
Es ist eine Herausforderung eine Erkrankung, die mit unsichtbaren Symptomen kommen kann zu erklären und Bewusstsein dafür zu schaffen. Als Mensch mit MS, der ich auch bin, kann ich das gut nachvollziehen. Oft ist dieses von vielen als "unsensibel" bezeichnetes Verhalten einfach Unsicherheit. Eine Lücke im Wissen und daher ist man von Natur aus skeptisch. Für viele Mitmenschen ist es immer noch wichtig, dass eine Erkrankung sichtbar ist und das was man nicht sieht ist nicht da. Was wiederum auch am Verdrängen unbequemer Fakten liegt. Dazu kommt: Medizinische Dinge sind für viele Menschen schwierig zu verstehen, besonders wenn sie zum ersten Mal darüber hören.
Es fordert eine vorsichtige Art der Kommunikation, die zwar die harten Fakten weder beschönigt, noch verheimlicht. Jedoch hilft es nicht, laut das einzufordern, was man erwartet. Weil der Ton meist nicht zur Forderung passt, die da wäre: Empathie und Awareness und gerne auch ein bisschen Sensibilität. Kriegt man aber nicht, wenn man nur wütend drauf haut. Weil der Ton am Ende die Musik macht und wenn wir ein wenig Sensibilität einfordern, müssen wir zeigen, dass wir das durchaus auch einbringen können. So hart das ist, das ist mir klar, weil auch mir manchmal die Geduld ausgeht und ich am liebsten jemanden eine Kopfnuss verpassen möchte.
Die Frage ist also helfen Rat-Schläge als Gegenargument und massives Meckern mit einer noch massiveren Wortwahl um Menschen aufzuklären und Verständnis zu schaffen und für Empathie und ein wenig Sensibilität im Umgang mit Menschen mit Erkrankungen zu werben?
Viele Menschen mit Erkrankungen tummeln sich in eigener aufklärerischer Mission im Netz und wollen endlich verstanden werden. Sie tun dies auf die eine oder andere Weise. sie nutzen den Platz, der da ist, um deutlich aufzuklären.
Weil wir das müssen. Sagen sie. Stimmt.
Die Frage ist nur, wie man es angeht, wie man die Aufmerksamkeit der der Mitmenschen erlangt, um das Verständnis zu bekommen, das nötig ist und dafür zu sorgen, dass ein Bild entsteht, das frei von Mitleid und seltsamen Bemerkungen oder Vorurteilen ist und Verständnis und einen vernünftigen Umgang fördert. Es braucht eine Balance, bunt und vielfältig, wie das Leben eben ist. Nur "Happy" Botschaften sind es nicht, aber eben auch kein Dauermotzen.
Drei Gründe gegen Dauermotzen:
1. Das ständige Klagelied vermittelt einen Eindruck: man könnte denken, da ist jemand dauerhaft oder auch chronisch schlecht gelaunt. Dauerfrustriert. Ich glaube bis auf einige wenige Ausnahmen, sind wir nicht alle dauerfrustriert. Aber diese Dauerfrustschleife macht was: sie schafft Awareness. Ob es die richtige ist? Hm.
2. Dauermotzen ist wie Aufzugmusik. Man ignoriert sie irgendwann. Es wird zum Hintergrundrauschen für diejenigen, die einen Moment vorbeischauen, sprich mit einem im Aufzug stehen. Sie steigen ein, das Hintergrundgeräusch rauscht durch, die Botschaft dahinter bleibt aber nicht hängen. Das heißt, die gewünschte Empathie und Sensibilität, also die Awareness kommt nicht auf. Platt gesagt, der Ton macht die Musik und bestimmt ob sie gehört wird.3. Kleine Helfer im Dialog: Zuhören, Erklären und miteinander reden. Hilft! Der Dialog macht die Sache aus. Wer zuhört lernt vom anderen und ich glaube es ist auch unsere Aufgabe die anderen zu verstehen. Das schafft eine wertschätzende Atmosphäre und einen guten Ton, der das Miteinander, das nötig ist, zulässt. Dialog schafft Awarness. Rat-Schläge nicht.
Wir, die wir in Social Media aktiv sind und über unser Leben mit welcher Erkrankung auch immer berichten haben eine Verantwortung für eine ganze Gruppe. Das was wir zeigen, schlägt sich auf die anderen unserer Gruppe, man nennt sie auch Patient*innen, nieder. Das Bild, das wir zeichnen überträgt sich und es ist an uns ob wir als sauertöpfische Griesgrame durchgehen oder als aktive Gruppe, die das Leben ernst nimmt, aber eben auch versucht, so gut wie möglich zu leben. Eine Gruppe, die auch das anbietet, was sie selbst einfordert. Verständnis, Bewusstsein und guter Umgang. Schaffen wir das nicht, wie soll es der Rest schaffen? Oder so gesagt: Geht nicht ohne Vorbild, auch wenn es manchmal mehr als mühsam ist.
Es hilft in vielen Situationen einen Moment stehenzubleiben und darüber nachzudenken:
Was würdest du denken, wärst du jetzt der andere?
Passt der Ton zu dem, was ich sagen will?
Dieser eine Moment kann helfen, Dinge aus einer anderen Perspektive zu betrachten und einen Ton zu finden, der die Botschaft wirklich effektiv transportiert und nachhaltig platziert. Nicht immer muss man laut werden. Manchmal ist das stille, aber deutliche Wort eines, das mehr Effekt hat und ein "gesundes" Verhältnis zu den Fakten schafft.
Wenn wir über Leben mit Erkrankungen reden, ist es wichtig, alle nötigen Aspekte zu erwähnen. Wir brauchen konstruktive Gespräche, eine Position, die uns in der Gesellschaft Gehör verschafft. Weil unsere Herausforderungen oft auch diese Menschen betreffen. Das heißt, wir brauchen das "Gemeinsam" , damit wir dann die Unterstützung und das Verständnis bekommen, das wir brauchen und das wir uns wünschen.
Birgit
Text: Birgit Bauer
Bilder: Pixabay.de