23 Februar 2021

Das mit der Patientensprache

Zugegeben, es gibt viele "Sprachen", sagen wir besser Fachjargon. So ziemlich jeder Berufsstand hat einen. Social Media Menschen reden von reach und share, tools und performance, Ärzte reden über Leukozyten, über Injektionen und Läsionen, Forscher von Viren, Bakterien und klinischen Studien. 

Und Patienten? Es heißt ja immer, die sprechen Patient. Viele Beteiligte im Gesundheitsmarkt sagen von sich, dass sie Patient sprechen. Doch wie spricht Patient? 


In der Manufaktur haben wir uns lange Gedanken darüber gemacht, ob wir diese Sprache sprechen. Nicht zuletzt, weil wir hier inklusiv arbeiten und Analysen von verschiedenen Communities aus unterschiedlichen Erkrankungsfeldern erstellen, um Bedürfnisse zu entdecken oder Trends nachzugehen.

Als Blogger, der sich in einer sehr starken Community bewegt, nämlich der MS Community, spreche ich sicherlich auch "Patient" mit dem Fachgebiet "MS". Wenn wir über unsere Läsionen sprechen, über Blasenkatheder oder Plasmapharese fachsimpeln und uns noch Tipps geben, hört sich das für Außenstehende schon seltsam bis gruselig an. Zugegeben, mir geht es ähnlich, wenn ich mit Menschen zusammen bin, die andere Erkrankungen haben. In vielen beherrsche ich die Grundbegriffe, geht es aber ans Eingemachte, muss ich nachfragen und mich informieren. 

Es sind Sprachformen zwischen Medizin und einer Art Geheimsprache, die nur Menschen verstehen, die quasi eingeweiht, schlimmer formuliert, diagnostiziert sind. Was ich verstehe. Wenn ich zu jemand, der auch MS hat sage, ich hätte Fatigue, fragt die Person nicht nach. Sie versteht einfach und bietet Hilfe an.  (Nur zum Verständnis, Fatigue ist ein heftiger Erschöpfungszustand, der einen quasi lahmlegt. Es geht hier nicht um Müdigkeit, es geht um gnadenlos heftige Erschöpfung, die es einem nicht mehr ermöglicht, die einfachsten Dinge zu tun. Ein häufiges, wenngleich unsichtbares Symptom der MS) 

Die Sprache "Patient" oder "patientisch" wie es auch oft zu hören ist, ist also so gesehen nicht nur eine Sprache, sondern viele Sprachen, die es zu beherrschen nötig wäre, würde man vollständig "Patient" sprechen. Aber wer tut das schon? 

Ehrlich, wir können das nicht. So viele unterschiedliche Dialekte einer Sprache zu lernen, ist nicht möglich. 

Ich kenne das auch aus meinem Leben. Ich spreche bayrisch. Bayrisch ist die Hauptsprache in Bayern, aber dann geht es los, der Niederbayer redet anders als der Oberbayer, die Franken haben wieder eine anderen Färbung und die Schwaben auch. Und so geht es durch und schon haben wir das Chaos. Denn oft missversteht man sich dann. Weil die Dialekte unterschiedlich sind und damit auch die Bedeutung so mancher Worte. Manchmal ist es nur die Betonung von Silben, ein anderer Rhythmus oder der Klang der Sprache, der Dingen eine völlig neue Bedeutung gibt. Und damit auch einer Aussage. 

Würde man also "Patient" wirklich sprechen, müsste man sich die Dialekte aller existierenden Erkrankungen aneignen, was im Hinblick auf mehrere 10000 Erkrankungen weltweit ziemlich schwierig werden dürfte. Allein im Bereich seltene Erkrankungen sprechen wir über 8000 Erkrankungen. 

Wie gesagt, wir können das nicht, es ist eine Herausforderung, die wir seit Jahren nicht annehmen, sie nicht annehmen können und werden. Wir würden sie schlicht nicht schaffen. Darüber sind wir uns völlig im Klaren. 

Was wir aber tun und schaffen ist, mit den Menschen zu sprechen, mit ihnen zu diskutieren und uns auszutauschen. Unser Prinzip ist es, sich mit diesen Menschen zu vernetzen und so nachhaltige Netzwerke zu bauen. 

Wir hören zu und lernen. Von den Menschen und mit den Menschen. In diesem Austausch fragen wir nach, erkundigen uns und finden heraus, was wirklich Priorität hat.  

Das erscheint uns sinnvoller als eine Vielfalt von Sprachen zu erlernen, die wir ohnehin nie sprechen könnten. Von  Menschen, die mit Erkrankungen leben zu lernen und das, was wir  hören in Wissen und Strategien um zu wandeln und damit Brücken in Sachen Verständnis zu bauen, finden wir wichtiger und relevanter. 

Damit andere Menschen wie Ärzte, Pflegende, Therapeuten, Versicherungen oder Unternehmen verstehen, was wirklich wichtig ist wenn es um Menschen mit Erkrankungen geht.

Weil wir wichtig finden, dass Verständigung passiert und die Menschen hinter den Patienten und Nummern, gesehen und wahrgenommen werden. 

Wir sprechen Klartext. Das reicht, um sich auszutauschen. Und Sie? 

Herzlichst, 

Birgit Bauer


Text: Birgit Bauer / Manufaktur für Antworten UG 

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