28 Januar 2021

Patient Centricity - Buzzword oder Wahrheit?

Seit Jahren spreche ich in vielen Diskussionen oder in Vorträgen über die so genannte "Patient Centricity". 

Das besagt, kurz formuliert, dass die Menschen, die mit meist chronischen Erkrankungen leben, Patientinnen und Patienten also, in den Mittelpunkt aller nötigen Aktionen und Aktivitäten rund um die Gesundheit stellen möchte. 

Ich finde das mehr als wichtig, auch weil ich selbst weiß, wie es ist, mit einer chronischen Erkrankung zu leben. 

In den letzten Jahren  hatte ich im Rahmen meiner Arbeit als Patient Advocate die Möglichkeit mir viele Aspekte zum Thema anzuhören. 

Manchmal war ich enttäuscht, ein anderes Mal war ich endlos begeistert und feierte die Menschen für ihre Einstellung, die klar war, Menschen mit Erkrankungen brauchen einen Platz am Tisch, man muss ihnen zuhören. 


Wie auch immer, ich glaube, in diesem Fach gibt es noch viel zu tun. 

Vor Kurzem nahm ich am Kongress des Bundesverbandes Managed Care e.V. teil und fand es sehr spannend die Neuigkeiten zu hören. Die Sprecher nahmen digitale Gesundheit, aber auch besagte Patientenzentrierung genauer unter die Lupe. 

Das Programm war spannend und ich konnte eine Menge mitnehmen, an dieser Stelle mein Kompliment an das Team vom Bundesverband Managed Care e.V.. 

Was mir aber oft fehlte, war die Stimme derer, über die man gerne und ausführlich spricht: Patienten. Sie waren zwar da, aber nicht oft genug hörbar. Etwas, was ich schade fand, denn es gibt zum Thema viel zu sagen. Und wenn man schon über Patienten spricht, sollten sie involviert sein. 

Patient Centricity = Buzzword?

"Patient Centricity" war und ist für mich oft und ein Buzzword. Es begegnete mir vor einigen Jahren schon. Ich fragte und frage mich bei vielen Vorträgen, die ich in den letzten Jahren verfolgte, ob wir Patienten wirklich im Fokus allen Tuns stehen oder ob das nur eine Phrase ist, der man sich gerne bedient, weil sie so schön klingt. All die bunten Tortendiagramme und Infografiken, die gezeigt wurden sollten beweisen, wie weit man in der Zentrierung gediehen ist. Manches davon war wirklich glaubwürdig und gut, bei anderen Präsentationen war ich mir nicht sicher.  Denn oft waren es nur Zahlen, nackt und ohne Mensch dahinter. Wobei, Zahlen machen noch lange keinen Menschen und doch werden sie oft und gerne genutzt. 

Die Begründung auf meine oft gestellte Frage, ob denn Patienten beteiligt waren oder werden ist nicht selten: "Ich habe eine Statistik also weiß ich schon, was Patienten wollen" gewesen und ist es bis heute. 

Menschen mit Erkrankungen sind da und wollen etwas tun

Es gibt mittlerweile jede Menge engagierte Patienten  die etwas tun. Es geht um Gesundheit und dafür setzen sich immer mehr Patienten ein. Reden, diskutieren, wollen mitwirken. Es sind Menschen, die im Netz agieren, Blogger, Aktivisten, Angehörige und Pflegende, sowie Patientenorganisationen und -Verbände, und andere, die das Thema interessiert. 

Sie haben alle ein sehr ähnliches Zielt: Behandlungen, Therapien und auch digitale Lösungen zu entwickeln und damit zur Verbesserung rund um Gesundheitsversorgung beizutragen und damit die Lebensqualität von Menschen mit Erkrankungen zu verbessern. 

Das ist jedoch nur erreichbar, wenn man mit uns, den Patienten wirklich aktiv in den Dialog geht, redet, zuhört und diskutiert. So wie es eigentlich die Declaration of Alma Ata von 1978 vorsieht: 

"The people have a right and duty to participate individually and collectively in the planning and implementation of their health care."

Die Declaration finden Sie übrigens hier: https://www.who.int/teams/social-determinants-of-health/declaration-of-alma-ata 

Auch Prof. Ellen Nolte, Professor of Health Services and Systems Research, London School of Hygiene & Tropical Medicine, erwähnte dies in ihrem Vortrag im Plenum des BMC Kongresses. Sie sprach über Patient Centricity in der heutigen Zeit und unterstrich deutlich die Wichtigkeit des Themas. 

"Gesundheitssysteme werden einen wesentlich höheren Stellenwert einnehmen", sagte Prof. Nolte in ihrem Vortrag und ich kann nur zustimmen. Gesundheit hat allein aufgrund der Pandemie einen anderen Stellenwert eingenommen. 

Patient Centricity wird sich ändern 

Gerade jetzt, in einer Zeit, in der digitale Gesundheitslösungen mehr und mehr in den Fokus rücken, was nicht zuletzt an der Pandemie liegt, die als einer der Treiber für digitale Gesundheitslösungen gilt, ist es unabdingbar, den Menschen mit Erkrankungen zuzuhören, sie wahrzunehmen als das was sie längst sind: 

Ein Stakeholder im Gesundheitswesen, der einbezogen werden muss, sogar ein Recht darauf hat. 

So betrachtet ist für mich schon klar: Patient Centricity wird sich verändern. 


Einerseits werden digitale Veränderungen im Gesundheitswesen dazu beitragen, andererseits sind Patienten besser informiert was ihre Erkrankungen betrifft und sie sind sich ihrer Gesundheit mehr als bewusst. Sie sind aktiv und haben sich längst vom paternalistischen Versorgungsmodell verabschiedet. Patienten ergreifen immer häufiger die Initiative für sich und die Gestaltung ihrer Versorgung. 

Deshalb müssen wir "Patient Centricity" anders gestalten und leben. Es geht darum Dinge gemeinsam zu entwickeln und zu erarbeiten, um eine gute medizinische Versorgung und das Verständnis für Gesundheitssysteme wie digitale Gesundheit zu entwickeln. 

Es ist sicherlich eine Herausforderung für uns alle, aber eine, die es lohnt anzunehmen. 



Birgit Bauer


Text: 

Birgit Bauer / Manufaktur für Antworten UG

Bilder Pixabay.com